Schneeeulen
Manchmal gehe ich noch schnell dahin. Manchmal auch nur kurz vor dem lauten Schließen der Tore. Etwa hundertvierzig Treppenstufen hinunter und vierzig andere später wieder hoch: durch den U-Bahnschacht, dicht die Wände entlang, durch den Berufsverkehr und das Geschrei der Stadt. Beim Straßenmusiker am Areal vorbei, der da schon nicht mehr da ist, weil es schon dunkel wird und nur noch einzelne Besucher aus dem abgesperrten Gelände gespuckt werden, die ihre Münzen in den Koffer hätten werfen können. In den Baumkronen sammeln sich tausende fremde Kolkraben zur Nacht. Aus Unruhe, von einem einzigen Vogel entzündet, schießen sie hoch und ziehen dunkle Schlieren in die Luft, um sich wieder auf den gleichen Baumkronen niederzulassen, oder auf anderen, um das Schauspiel zu wiederholen. Auf einzelnen harren einheimische Nebelkrähen. Ein Fernsehteam sucht verzweifelt eine Lücke im Geschrei der Stadt, um das Schauspiel zu digitalisieren. Ich gehe vorbei an einer Voliere, worin sich einabgesondertes Kolkrabenpärchen den Raum teilt. Weiter in eine Abbiegung. Vorbei an leeren Gitterhäusern mit Gitterdächern, eine eingeflogene Eule verschwindet schnell in ihrem Loch, noch eh ich sie sehe. Auf der rechten Seite müssten sie jeden Moment auftauchen: weiß und erhaben, der Körper unbeweglich, bis auf den Kopf, der sich augenblicklich zu mir dreht, als ich auftauche: Das Weibchen steht auf ihren Fängen hinter dem Gitter auf dem Boden und das schneeweiße Männchen daneben auf einem Baumstrunk. Von weitem höre ich schon die mahnende „Sturmglocke“ des Wärters, der nach Feierabend...
Die Schneeeulen-Bilder entstanden während der künstlerischen Auseinandersetzung mit einem Schneeeulenpärchen im Berliner Zoo. Unzählige Zeichnungen dienten den mit feiner Feder gemalten Bildern als Vorlage. Ähnlich den kalligrafischen Portraits lassen die sekundenschnell gefertigten „Momentaufnahmen“ das Abwägen von Proportionen Gefühlssache werden. Dadurch wird ein Blick offenbart, der mit keiner modernen Technik darzustellen ist. Das Bild verwandelt sich zu einem Schriftbild, bei dem die einzelnen Striche für sich stehen und ihre eigene Bedeutung haben.
Die Installation mit den Schneeeulen zeigt einen imaginären Weg von der Hektik der Großstadt zum ruhig und erhaben erscheinenden Wesen der Schneeeule. In einem dunklen Raum steht eine schneeweiße Säule. Darauf ist ein immateriell wirkender hell erleuchteter Käfig platziert, in dem zwei kleine Käfige eingeschlossen sind. In der Umgebung der Säule sind drei überdimensionale Schneeeulen-Bilder angebracht. Eine Eule wendet ihren Kopf dem Betrachter zu, während die andere unter der Treppe durch die Stufen herauflugt und eine dritte unverwandt in die Weite blickt.
Im Großformat waren die Bilder Teil einer Installation, die im Rahmen der Kunstausstellung „durchzug“ in der Passerelle des Sony-Centers am Potsdamer Platz in Berlin bis zum 31.05.2004 zu sehen waren. „durchzug steht für den fortlaufenden Übergang von einem Künstler zum nächsten, von einem Ort zum anderen. Künstler und ihre für den spezifischen Ort erschaffenen Installationen und Ausstellungskonzepte “durchziehen“ fortan verschiedene Räume unter dem Potsdamer Platz. Die Orte werden jeweils durch einen Zeichner, Maler, Installationskünstler oder durch eine Künstlergruppe interpretiert und in ein neues Licht getaucht.“ (artefakt Berlin)
...und versuchst hineinzusehen,
in diesen Körper, streifst über dich seine Hülle, versuchst zu verstehen, wie es sich darin anfühlt, als hättest du dich in diesen Körper hineinbegeben.
Der einem so fremd ist, vorerst…
...Dann sind da diese kleinen, wunderlichen Augen, in welchen Du Dich verlierst, bis Dir alles so nah erscheint und Du Dich dabei erwischst, wie Du…