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Garten der Lüste

Kulturort Galerie  Weiertal 2020

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Katalogtext

Im dunklen Raum schwebt ein seidenes Tuch, worauf durch Schwarzlicht fluoreszierende Kornähren umher tanzen. Man hört verzerrte Klänge, aus denen Melodien wahrzunehmen sind. Aus dem Seidentuch steigen Seidenkamine in die Höhe, aus denen Ähren purzeln. Lautsprecher hängen von der Decke und stehen auf dem Boden. Käferähnliche, elektrische Motoren hängen von der Decke und berühren die Seide mit rüsselartigen Nadeln. Im Kristallauge eines Paradiesvogels bricht sich das Licht zu Regenbogenfarben und fällt auf die Wand. 

 

Ein ausgelassenes Fest ist im Gange und niemand weiss, dass es ein Abschiedsfest ist. Jenes der Erde nämlich, deren Gaben unbewusst noch einmal genossen und gefeiert werden - ähnlich einem sterbenden Obstbaum, der noch einmal so richtig aufblüht und viele Früchte trägt.

Das fliegende Seidentuch pulsiert mittels alltäglicher Apparate, die in der Intensität von Trommeln und rhythmischen Melodien die vermenschlichten Ähren zum Leben erwecken und sie durch die verformte Seide tanzen lassen.

 

Der Titel: „Garten der Lüste“ ist dem gleichnamigen Triptychon von Hieronymus Bosch entnommen, mit dem Garten Eden, dem Paradies und der Hölle. 

Eine Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Gegensätzen - Das ist der Kern  der Arbeiten von Andre Willi - auch in dieser Installation. Dazu beleuchtet er ihre Berührungsstellen, weil da Dinge sichtbar werden, die sonst verborgen sind, sei es am Übergang vom Leben in den Tod oder hier vom üppigen zum verödeten Erdplaneten. Offenbart wird das Verhältnis der Menschen zur Welt und ihren Ressourcen. Die Regenbogenfarben legen ein Band zwischen Himmel und Erde.

DIE IDEE  (die nicht gehaltene Rede vom 21. Juni)

Hallo miteinander, was für ein Glück heute, was für ein Tag, der längste des Jahres sogar - Vor 25 Jahren war die Verhüllung des Reichstags von Christo, da wurde die Wiese davor zu einem Treffpunkt und viele Grüppchen sassen zusammen, fast so, wie zur jetzigen Coronazeit in den Brachen der Stadt.

 

Seid ihr schon einmal vor einem abgeernteten Kornfeld gestanden, und habt das Knistern der Halme gehört, wenn in der Hitze der Sonne die letzte Feuchtigkeit aus ihr getrieben wird? Habt ihr schon einmal einem Lärm gelauscht, solange, bis ihr eine Melodie hören konntet?

 

Die Geschichte um diese Installation begann in Schweden, im Frühsommer 1992 oder 93, dem etwas heisseren Jahr zu dieser Zeit. Ich hätte auch jene Zeit erwähnen können, als Napoleon Bonaparte während der Durchreise dort in dem doch recht grossen Anwesen residierte. Möglicherweise war es damals etwas kühler und Begriffe wie Klimawandel ergaben bei den rauchenden Waffenschmieden und furzenden Pferden und Rindern noch keinen Sinn.

 

Es war ein heisser Tag, ein trockener, heisser Tag in Schweden. Mein Kopf war leer, und alles, was ich zu tun gedachte, ergab einfach keinen Sinn. Die Leere kam von der Trennung, der zerbrochenen Liebe -  dazu Müdigkeit, zum Schlafen nicht genug. An diesem Mittag ging ich ziellos aus dem Haus, in dem Napoleon mal nächtigte, aber nicht wie ich im Gehülfenzimmer direkt neben der Küche, sondern in einem massiven Eichenholzgestell in einem hohen Raum. Ich trat auf den Vorplatz, wo früher Pferdekutschen vorgefahren waren und später PKWs anhielten, manchmal ein Jaguar mit dem Patron, der seine Litauischen Erdbeerpflückerinnen vorbeibrachte. Ich lief in die Allee hinein, mit ihren beidseits symmetrisch angeordneten alten Wirtschaftshäusern. 

 

Ich hatte noch immer den beissenden Geruch des deckenden Ebers in der Nase, der am Vortag unbeholfen die Sau bestiegen und seine Hufen in das weiche Fleisch gerammt hatte. Mit einer Künstlergruppe war ich von einem stolzen Schweinemäster durch einen Mastbetrieb geführt worden - einem etwas verloren in der Landschaft stehenden Gebäude mit glänzendem Wellblechdach, das innen mit roten Wärmelampen und elektrischen Fliegentötern ausgestattet war und an riesigen Sauen saugenden Ferkeln. Noch nie war der salzig süsse Geruch eines frisch gebratenen Koteletts so unvorstellbar weit weg gewesen, beim Filmen und Fotografieren im Stall.

 

Ich schlenderte vor mich hin, geleitet vom kiesigen Gehweg, der unter meinen Füssen wegzog, bis ich vor einem Kornfeld stehenblieb, einem Stoppelfeld - das Getreide war geschnitten und es lagen noch vereinzelt gebundene Strohballen herum. Die verbliebenen Halme knisterten in der Hitze der Sonne, während die letzte Feuchtigkeit aus ihnen zu fliehen schien. 

 

Zwischen den Stoppeln lagen einzelne Ähren, als läge noch Ungesagtes in der Luft. Wie ich die Ähren beobachtete und weitere entdeckte, bewegungslos scheinbar, kam mir die Frage, wie es vor sich gehen könnte, wenn die Ähren nun selbst ihr Schicksal in die Hände nehmen würden. 

Ich stand da und starrte in das Feld hinein: Ein abgeerntetes Feld, sonst nichts.

Dann sammelte ich mit einem Gabelstapler die Strohballen ein und markierte mit ihnen eine Landepiste.

Die Strohballen wurden so aufgeschichtet, dass die entferntesten Markierungen am weitesten auseinander lagen und viel grösser waren, so, als wären sie ganz nah, während die nächstgelegenen Markierungen sehr klein waren und in ihrem Fluchtpunkt weit weg zu liegen schienen, als wäre die Landebahn gespiegelt und die Flugobjekte würden aus der Erde steigen, anstatt vom Himmel sinken. So dachte ich, es tun zu müssen, nein ich hatte mir nichts dabei gedacht. 

 

Aber ich dachte an die Schweine vom Vortag, derer ein paar abgeholt werden sollten, um geschlachtet zu werden und fragte mich, was passieren würde, wenn die Schweine anfingen, ihre Schlächter zu schlachten.

 

Nach getanem Werk, nahm ich mir vor, Lampen auf die Strohballen zu stellen und auf die Dämmerung zu warten.

 

Und dann passierte das, was im Leben passieren kann, die grosse Veränderung, das ganz grosse Ereignis, das plötzlich da ist, ganz schnell und ohne Vorwarnung und alles auf den Kopf stellt…

 

Konzept meiner Arbeit 

 

Eine Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Gegensätzen - Das ist der Kern meiner Arbeit - auch in dieser Installation. Dazu werden ihre Berührungsstellen beleuchtet, weil da Dinge sichtbar werden, die sonst verborgen sind, sei es am Übergang vom Leben in den Tod oder hier vom üppigen zum verödeten Erdplaneten.

 

In der Installation ist ein ausgelassenes Fest im Gange und niemand weiss, dass es ein Abschiedsfest ist. Jenes der Erde nämlich, deren Gaben unbewusst noch einmal genossen und gefeiert werden - ähnlich einem sterbenden Obstbaum, der noch einmal so richtig aufblüht und viele Früchte trägt. Ein Widerspruch, haben die Ähren nicht doch ihr Schicksal selber in die Hand genommen?

 

Der Titel: „Garten der Lüste“ ist dem gleichnamigen Triptychon von Hieronymus Bosch entnommen, mit dem Garten Eden, dem Paradies und der Hölle. 

 

Im berühmten Tryptichon  (um 1500 entstanden) liegt der Garten der Lüste zwischen den Gegensätzen: dem Garten Eden und der Hölle. 

 

Im Original Bild wurde der Garten der Lüste zuerst als Warnung gegen die Todsünde Wollust gedeutet, im 20.Jahrhundert kam eine interessante Deutung hinzu, welche den Garten der Lüste , als utopisches Traumbild eines Liebes-Paradieses deutete und dabei auf das friedvolle Beisammensein der Figuren auf dem Bild verwies.

 

Die Installation wäre beinahe in ihrer technischen Umsetzbarkeit gescheitert, die Ähren hatten sich geweigert zu tanzen, hätte ich nicht die wertvolle Hilfe des Informatikers Nico Karrer mit seinen vielen Ideen und sachlichen Blick gehabt  - vielen Dank.

Der Idee der Installation liegt eine einfache Gegebenheit zugrunde, dass, wenn man eine Ähre in den Ärmel steckt, diese aufwärts wandert.

Daraus ergibt sich in der Installation der Weg: Trommel - Mikrofon - Kabel - Aufnahmegerät - Kabel - Abspielgerät - Kabel - Vorverstärker mit all seinen elektronischen Bauteilen - Kabel - Endstufengerät - Kabel - Lautsprecher - Seidentuch  oder Seidenkamine - Ähren. So werden akustische Signale digitalisiert und laufend verändert, bis sie als mechanische Signale ihren Bestimmungsort finden und die Ähren zum tanzen bringen.

Wenn man den Trommeln lauscht, die durcheinander den Luftdruck ins vibrieren bringen, kann man sie vielleicht hören - die Melodie der Erde. Die Regenbogenfarben des Paradiesvogels legen ein Band zwischen den Gegensätzen.

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