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LICHTERN

 

Von der Kraft meditativ-phantastischer Zeichenkunst

Prof. Peter André Bloch

 

Wer wäre von der so konkret wirkenden Abstraktionskunst von Andre Willi nicht angetan oder fühlte sich durch sie nicht angeregt ? Wer versuchte nicht spontan, in seinen kalligraphischen Partituren zu lesen, die bald auf weiten Lichtbändern, bald in dunkeln Räumen kontrastreich aufscheinen? Und wer liesse sich dabei nicht von den eigenen Assoziationen und Einfällen tragen, um in sich eigene Bilderfolgen zu entwickeln, die sich - in sich tanzend - fortwährend verändern? Wem fielen dabei nicht unvermittelt vergessene Melodien aus der Jugendzeit ein, und wer begänne zu den erinnerten Klängen sich nicht selbst rhythmisch zu bewegen? 

 

Andre Willi wirkt wie ein Zauberer, der von den unablässig sich wiederholenden Grundrhythmen seiner Phantasie lebt, denen er sich als Medium bewusst aussetzt. Durch starke Eindrücke von aussen oder intensive Traumvorstellungen lässt er in sich eigentliche Implosionen auslösen, die sich vorzu steigern und ihn derart erregen, dass es in ihm mehr und mehr zu schwingen beginnt, bis es zu unmittelbaren Reaktionen und Äusserungen kommt, die sich auf sein zeichnerisches Schaffen übertragen. In diesem Sinne versteht er sich als Seismograph, der die innern Schwingungen mit seinem Pinsel malerisch wie in einem digitalen Prozess zeichenhaft aufzeichnet, als ob diese direkt aus seinem Körper flössen und mit seinem Gestaltungswillen wie in Trance eins werden.

Diese Art von Kunst hat mit Magie zu tun, mit meditativer Versenkung in sein Selbst  und in seine Umwelt, mit dem unstillbaren Willen, sich diesen Kräften auszusetzen, um sie künstlerisch festzuhalten und sich im Prozess des Umsetzens als Medium zu erfahren, das gleichzeitig zum Subjekt und Objekt des Erlebens und Vermittelns wird, in der Spannung zwischen Selbstverlust und Kunstgewinn, Empfindung und Bewusstsein, Erfindungsgabe und Gestaltungskraft. Die einen sehen in den entstandenen Blättern eher ungestalte Kritzeleien, andere hingegen Kunstdiagramme menschlicher Befindlichkeiten, die stark situativ bestimmt sind, aber durch die Reinheit der Empfindung und die unbedingte Direktheit des vermittelnden Gestaltungsvermögens überzeugen. 

Wie Mozart seine Notenköpfe setzte, so reiht Andre Willi seine – bewusst erzeugten – Erregungen kontinuierlich aneinander. Manchmal ergeben sich wie von selbst eigentliche Ketten von schwarzen Perlen, die sich ineinander verschlingen oder übereinander verschichten, bei irgendwelchen Störungen des Ablaufs – durch Rückblicke oder Gegenläufigkeiten – abbrechen oder sich zu grossflächigen Bildkomplexen verdichten; diese beginnen in ihrer künstlerischen Verschlüsselung labyrinthartigen Psychogrammen zu gleichen, mit grosser poetischer Ausstrahlung und einer unverwechselbar eigenen – schattenrissartigen – Bildersprache. 

 

In Andre Willi’s „kalligraphischen Partituren“ widerspiegeln sich Geräusche und Gefühle, Erinnerungen und Spannungen, Sehnsüchte und Versuchungen. Es ist, als ob er in ihnen seine eigenen Herztöne messe oder den Höhenflug seiner inneren Entrückungen zu fassen suche, im Einklang mit dem so glückseligen wie auch grausamen Schöpfungsgedanken der kontinuierlichen Entfaltung des einen aus dem andern, im Wechsel von Hell und Dunkel, lichthafter Verzückung und schmerzlicher Vergessenheit. Als Künstler weiss er sich in der Phantastik seines unbedingten Gestaltungswillens aufgehoben, der in faszinierenden Bildkompositionen die inneren wie auch die äusseren Erfahrungen mit schwungvollem Gestus und einer gleichzeitig zeichenhaften Stilisierung zur vollkommenen Vergegenwärtigung zu bringen vermag. 

Porträts von Andre Willi

Prof. Peter André Bloch

Besonders ausdrucksvoll erscheint mir die vielgesichtige Serie von Selbstporträts: Souverän spielt Andre in ihnen mit seinen Spiegel bildern, um im Grunde die eigene Undarstellbarkeit zu erfassen. Im Grunde bezieht er sich immer auf das sehende Auge, das sich selbst zu beobachten scheint, in einer faszinierenden Folge von Skizzen, die einzelne Details hervorheben, das Ganze zu Farbklängen verwandeln oder auf wenige schwarz-weiss Akzente reduzieren. Als ob er sich als Maler hinter seinen Kompositionen verberge: hinter den zarten Linienführungen und komplementären Farbgebungen, zwischen Parodie und Selbstauflösung, gestischer Zeichenhaftigkeit und lustvoll- poetischer Erfindungsgabe. Alles wird Anlass zum Spiel mit vorgegebenen Mustern, die vorzu abgebaut werden, um in immer neuen Variationen die Frage nach dem Erscheinungsbild seiner selbst zu stellen, in humorvoller Nachdenklichkeit über den Sinn von Kunst und Wirklichkeit, Vorstellungskraft und Darstellungsvermögen. Wer vermöchte sich der Sensibilität solch zauberischer Vergegenwärtigungsversuche zu entziehen?

Peter André Bloch

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