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Das Bild
Kein Licht heute. Ich werde es nicht wieder tun. Ich werde die Tür aufschliessen und in den dunklen Raum treten. Ich werde den Lichtschalter hinter dem Türrahmen nicht betätigen und auch nicht den Strahler, der sonst das Bild beleuchtet. Ich werde hineintreten, mich in den Sessel begeben und genau da weiter machen, wo ich stehen geblieben war.
Ich glaube sowieso, dass das Licht an allem Schuld ist, vermutlich auch die feuchte Hitze, die von den Rohren strahlt, an der Decke hängend, von den verschiedenen Wänden in den Raum fallen, sich verzweigen um an einer anderen Seite wieder zu verschwinden, mehr oder weniger heisses Wasser hin und her transportieren, mich mit bleierner Müdigkeit überfallen, betäuben und, wenn ich nicht vorsichtig bin, in den Sessel und die Tiefe des Schlafs hinunterziehen.
Als ich das letzte mal die Ateliertür hinter mir verschlossen hatte um nach Hause zu gehen, beflügelte mich beim Gedanken an die Rückkehr ein ungewöhnliches Glücksgefühl. Das soll ein gutes Zeichen sein.
Den verwinkelten Weg von der Kellertür bis ins Atelier gehe ich sowieso meistens im Dunkeln. Es erspart mir den Weg zurück zum Lichtschalter, von dem es nur den einen gibt; den ich ein zweites Mal gehen müsste, beleuchtet mit dem spärlichen, aus dem Atelier fliessenden Licht.
So schliesse ich zuerst die Haustür auf, die immer verschlossen ist, dann die Kellertür, die es manchmal ist, je nach dem, wer gerade Waschtag hat, tauche in die schwarze Leere und zähle, ohne den Lichtschalter rechts zu betätigen, die Tür hinter mir in die Falle werfend, die acht Stufen in die Tiefe ab, um nicht ins Leere oder in den Boden zu treten, biege knapp vor der Waschküchentür rechts um die Ecke, deren Position mir manchmal ein schwacher Lichtspalt unter der Tür verrät, sehe noch schnell rechts um die Ecke, wo vier Stufen in der Tiefe die meist leicht geöffnete Toilettentür auch noch etwas Licht über einen Lichtschacht spendet, bevor ich mit ausgestreckter Hand, den Atelierschlüssel umklammernd, auf eine dritte Tür zugehe, bereit, mit der linken Hand nach der vermuteten Position der Türfalle zu greifen, das feine spitze „Klack“ des Schlüssels abwarte, die Klinke fasse, niederdrücke und den warmen Geruch aus dem Vorraum prüfe, ob etwas fremdes im Dunkeln lauert, nicht rechts abbiege, nein, da ginge es in den Heizungsraum, sondern links, wo ich mit vorgestrecktem Schlüsselbart direkt auf das Schlüsselloch ziele, das ich meistens treffe, den Schlüssel drehe, die Falle niederdrücke und die Tür öffne, während dem ich mit der linken Hand die gerade passierte Tür genau berechnend ins Schloss werfe und prüfend abwarte, ob sie es geschafft hat. Was noch nie passiert ist, dass sie es nicht geschafft hätte, glaube ich.
Kein Licht heute. Ich werde die Tür aufschliessen und in das Dunkle treten. Ich werde den Schalter, rechts hinter dem Türrahmen nicht betätigen und mich geradewegs in den Sessel werfen.
Fast alles ist still, nur das Herz ist laut, der Atem, der Körper auf dem Sessel.
An der Wand lehnt das grosse Bild, ich kann es fühlen, seine Kraft, seine Schönheit von gestern und die Angst, dass es nicht mehr da sein könnte. Kein Licht heute!
Mit selbst angerührter Marmormehlfarbe hatte ich begonnen, den feinen Baumwollstoff zu bearbeiten, Kreuzstriche darauf zu malen, bis sich viele kleine Inseln bildeten, die langsam zu einem funkelnden See zusammenwuchsen und bunte Eiskristalle auf dem See tanzen liessen, wie süsse Blitze aus einer anderen Welt.
Es wurde dunkel und die Blitze verschwammen zu spiegelnden Lichter. Spiegelungen von Strassenlaternen, die wie Herbstlaub von Winden angehäuft wurden.
Gestern hatte ich mit meiner Mutter telefoniert und sie hatte gefragt, ob ich am malen bin und ich hatte ja gesagt, ja ich bin am malen. Jetzt sollte ich also ein Bild malen und habe vergessen, was ich eigentlich malen wollte, dabei habe ich schon längst begonnen.
Auf dem Wasser schlängelt sich auf der Stelle die Spiegelung eines Brückengeländers. Daneben wiegt sich sachte ein Boot ohne Aufbauten und dergleichen. An seiner Seite hängen zwei Bojen; ein Seil verschwindet in der Tiefe des Wassers. Auf dem Boot sind Menschen, die etwas tun. Sie scheinen ruhig und wie von woanders in leuchtende Mäntel aus Sorge gehüllt.
Darüber spannt sich eine Brücke. An der Brüstung des Brückenpfeilers lehnen zwei Körperschatten und schauen auf das Boot. Etwas Entscheidendes ist im Gange. Irgendwo in der Tiefe der Nacht schwebt das Wesen eines Gesangs. Vielleicht ist es kalt, aber das muss nicht sein.
Eine Hand voll Menschen auf einem kleinen Boot, das im Dunkel der Nacht, mit Licht begossen, sachte vor sich hin schaukelt. Einige stehen, zwei knien auf den Planken.
Würde die Szenerie in der Dunkelheit des Sommers spielen, wäre es jene der fortschreitenden Nacht, im Herbst jene des Geruchs von moderndem Laub, im Winter des silbernen Geschmacks von auf der Zunge schmelzenden Schnees, im Frühling jene des am Morgen der schwindenden Nacht nachfolgenden Dunstes.
Aber sie kommt nicht aus dem Sommer, dem Herbst, dem Winter und schon gar nicht aus dem Frühling. In dieser Jahreszeit spielt die Zeit keine Rolle.
In der Tiefe des Wassers leuchtet ein reines Licht, nicht warm, nicht kalt.
Schwäne schwimmen aus dem Bild heraus, graziös und erhaben. Auf ihrem Gefieder liegt das warme Licht der Strassenlaternen, welche von der Brücke und den Strassen die Szene säumen.
Der Raum wird schlagartig erhellt, als hätte der Bühnenmeister den Regler hochgeschoben. Das Bild ist leuchtend weiss, die Grundierung, die ich liebevoll aus Marmormehl und Leim angerührt und auf den Baumwollstoff getragen hatte, strahlt voller Licht.
Das dünnste der Rohre oben unter der Decke ist gelb markiert, rutscht unverfroren zwischen den anderen Rohren in den Raum und biegt, noch bevor sie den Raum vollends eingenommen hat, rechts um die Ecke und verschwindet wieder im Gemäuer, durch das der Gaszähler zynisch vor sich hin hackt, als würde er sich bemühen, niemanden zu stören, bevor er im Heizungsraum im Brenner verschwindet. Leinöl liegt in der Luft. An der Wand lehnt ein bespannter Rahmen, grundiert mit einem Marmormehlgemisch; davor steht ein Holzwagen, darauf liegen Farbtuben, Pinsel, stehen Gläser, mit Wasser gefüllt, manchmal farbig, milchig trüb.
Durch das Fenster schien die Sonne, gerade in jenem Augenblick, wo die Schlucht zwischen den Häusern einen Strich aus Licht über die Fenster ziehen lässt, aber das ist gestern gewesen.
Ich weiss, irgendeinmal werde ich es schaffen und vorsichtiger sein, das Licht verwehren, und dann wird es bleiben, in seiner ganzen Pracht in alle Ewigkeit.
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